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„Flankenschutz“ durch die Steuerfahndung (Stand 10/2022)

I. Auf einen Blick

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 12. Juli 2022 – VIII R 8/19 – entschieden, dass eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung als sog. „Flankenschutzprüfer“ zur Überprüfung der Angaben der Steuerpflichtigen zu einem häuslichen Arbeitszimmer im Rahmen des Veranlagungsverfahrens rechtswidrig ist, wenn die Steuerpflichtige bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige der Ortsbesichtigung zustimmt und deshalb kein schwerer Grundrechtseingriff in Art. 13 Abs. 1 GG vorliegt.

 

II. Im Detail

Im konkreten Fall hatte die angestellte Geschäftsführerin und selbständige Unternehmensberaterin im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung erstmals Aufwendungen i. H. v. EUR 567,12 für ein häusliches Arbeitszimmer geltend gemacht und dem Finanzamt eine Skizze über die Wohnung und das Arbeitszimmer eingereicht. Weil sich für den Beamten der Veranlagungsstelle aus der Skizze Rückfragen ergaben, beauftragte er einen Beamten der Steuerfahndung als „Flankenschutzprüfer“ um Besichtigung der Wohnung zwecks Überprüfung der Angaben hinsichtlich des Arbeitszimmers. Dieser erschien ohne Ankündigung bei der Wohnung der Steuerpflichtigen und betrat, unter Ausweis seiner Person als Steuerfahnder und unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren, die Wohnung. Die Steuerpflichtige hat der Besichtigung nicht widersprochen.

Eine erstinstanzlich beim Finanzgericht Münster eingereichte Klage der Steuerpflichtigen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Wohnungsbesichtigung wurde mit Urteil vom 11. Juli 2018 - 9 K 2384/17 – als unzulässig abgewiesen. In der Urteilsbegründung führte das Finanzgericht aus, dass der Klägerin ein Feststellungsinteresse fehle, weil eine Wiederholungsgefahr nicht gegeben sei. Wäre die Wohnungsskizze von Anfang an richtig und verständlich eingereicht worden, wäre die Wohnungsbesichtigung nicht erforderlich gewesen. Darüber hinaus sei die Ortsbesichtigung nicht nur geeignet gewesen, den Sachverhalt aufzuklären, es habe sich auch um das effizienteste Mittel gehandelt. Zusätzliche Auskunftsersuchen hätten das Besteuerungsverfahren unnötig verzögert und zu weiteren Missverständnissen führen können.

Gegen das Urteil des Finanzgerichts hat die Klägerin Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt. In der Revision wurde das vorinstanzliche Urteil aufgehoben.

Entgegen den Ausführung des Finanzgerichts vertrat der BFH die Auffassung, dass die Klägerin ein Feststellungsinteresse hatte, weil eine Wiederholungsgefahr vorlag. Eine solche sahen die Richter insbesondere in einem Vermerk des Beamten der Steuerfahndung an den Veranlagungsbezirk gegeben, dass die Klägerin demnächst in die gegenüberliegende Wohnung ziehen werde und abzuwarten sei, welche Raumaufteilung sich dann ergebe. Aufgrund dieses Hinweises war nicht auszuschließen, dass das Finanzamt infolge des Umzugs der Klägerin in die gegenüberliegende Wohnung erneut am tatsächlichen Vorhandensein eines Arbeitszimmers zweifelt und den „Flankenschutzprüfer“ mit der Aufklärung des Sachverhalts in der (neuen) Wohnung der Klägerin beauftragt.

Darüber hinaus seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass das Finanzamt bei erneuter Prüfung des Arbeitszimmers auf andere Weise vorgegangen wäre, denn das Finanzamt hat die unangekündigte Ortsbesichtigung als "effektivste Methode" bezeichnet, um Unklarheiten aufgrund der eingereichten Skizze zu klären. Da die Sach- und Rechtslage nicht vollkommen identisch sein muss und die begründete Annahme genügt, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen gleichartig gehandelt wird, ist vorliegend eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr zu bejahen.

Des Weiteren war die unangekündigte Wohnungsbesichtigung im Streitfall nach Auffassung des BFH rechtswidrig. Diese war zwar geeignet, jedoch weder erforderlich noch verhältnismäßig im engeren Sinne. Grundsätzlich besteht die Berechtigung der Finanzverwaltung gemäß § 92 S. 2 Nr. 4 i. V. m. § 99 AO zum Betreten der Wohnräume von Steuerpflichtigen mit deren Einverständnis zur Inaugenscheinnahme zwecks Aufklärung, ob etwa das geltend gemachte Arbeitszimmer tatsächlich existiert. Eine Besichtigung der Wohnung einer mitwirkungsbereiten Steuerpflichtigen zur Überprüfung der Angaben zum häuslichen Arbeitszimmer im Besteuerungsverfahren ist angesichts des in Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verbürgten Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung erst dann erforderlich, wenn vorliegende Unklarheiten durch weitere Auskünfte oder andere Beweismittel (z.B. Fotografien o. Ä.) nicht mehr sachgerecht aufgeklärt werden können. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerpflichtige der Besichtigung zugestimmt hat und deshalb ein schwerer Grundrechtseingriff nicht vorliegt.

Schließlich verstößt die unangekündigte Wohnungsbesichtigung nach Auffassung des BFH auch deshalb gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne, weil die Ermittlungsmaßnahme durch einen Beamten der Steuerfahndung und nicht von einem Beamten der Veranlagungsstelle durchgeführt worden ist. Denn das persönliche Ansehen der Steuerpflichtigen kann auch dadurch gefährdet werden, dass bei zufällig anwesenden Dritten (z. B. Besucher oder Nachbarn) der Anschein erweckt wird, dass gegen die Steuerpflichtige strafrechtlich ermittelt wird.

 

III. Auswirkung auf die Praxis

Durch dieses Urteil stärkt der BFH die Rechte von Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzverwaltung und schafft Klarheit über die Voraussetzungen für eine rechtmäßige unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch die Finanzverwaltung. Insbesondere ist das Urteil dahingehend zu begrüßen, dass in den Augen des BFH im Falle eines solchen Überraschungsbesuchs durch die Steuerfahndung auch eine Gefährdung des persönlichen Ansehens des Steuerpflichtigen zu erkennen sein kann, wenn beispielsweise zufällig unbeteiligte Dritte bei einer unangekündigten Wohnungsbesichtigung durch die Steuerfahndung anwesend sind oder hiervon unmittelbar erfahren.

Für die Praxis kann daher hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit einer Wohnungsbesichtigung im Groben unterschieden werden: Wirkt der Steuerpflichtige im Rahmen eines Veranlagungsverfahrens bei der Sachverhaltsaufklärung mit, muss er nicht mit unangekündigten Besuchen durch die Steuerfahndung rechnen bzw. darf den Zutritt zur Wohnung verweigern. Verweigert dagegen der Steuerpflichtige eine ausreichende Mitwirkung bei einer Sachverhaltsaufklärung im Rahmen eines Veranlagungsverfahrens, muss er mit unangekündigten Besuchen durch die Steuerfahndung als „Flankenschutzprüfer“ rechnen. Gleichwohl sollte stets im Fall einer unangekündigten Wohnungsbesichtigung der steuerliche Berater informiert und bestenfalls sogar hinzugezogen werden.

Für Rückfragen und für weitere Informationen stehen Ihnen unsere Ansprechpartner unter der Telefonnummer 02204 9508-100 gerne zur Verfügung.

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